Die beiden Bände Sinnthesen 1 und 2 sind inzwischen als Doppelband im Buchhandel erschienen:

LESEPROBE

ZUVOR

Nun reden alle von Religion - Kirchenvertreter eher befremdlich, religiös Abstinente erwartungsgemäss vorurteilsvoll.

Als bemühter Christ und bekümmerter Katholik habe ich den Diskurs verfolgt und während meiner Arbeit als Autor, Journalist und Redakteur meine Meinung in aphoristischen Thesen festgehalten.

Ich schreibe als Reaktion auf typische Äusserungen im privaten, beruflichen und öffentlichen Umfeld und verstehe meine Thesen als kritischen Beitrag eines Sympathisanten der ‚Kirche von unten‘ (und von innen), der unpastorale Rede schätzt und unabhängiges Urteil.

Dass ich kein Theologe bin, wird vielleicht wettgemacht durch Unbefangenheit - genau genommen sind ja alle, die nach Gott fragen, Theologen.

An kritische Fachtheologen wäre die Rückfrage zu richten, ob ein suchendes Ungefähr nicht auch mal besser sein kann als das selbstgewisse Haargenau.

PM


INHALT

BUCH 1

Rationale und Religiöse

11

Materialisten und Spirituelle

25

Menschen und Tiere

41

Freie und Unfreie

47

Gott und Menschen

55

Jesus und jeder

71

Biblische und Unbiblische

78

Dogmatiker und Mystiker

86

Beter und Bettler

99

Religiöse und Moralisten

106

Gläubige und Ungläubige

118

Ungläubige und Gläubige

137

Kirchliche und Kirchenkritische

150

Kleriker und Laien

158

Konfessionelle und Ökumenische

162

Leidende und Liebende

171

Lebende und Tote

189

Irdische und Himmlische

196


RATIONALE UND RELIGIÖSE

Ich denke, also bin ich
reduziert auf Rationalität.

Ich glaube, also bin ich
im Einklang mit Denken und Fühlen.

Glaube: Begründetes Gottvertrauen.

Mittelalter: Zuerst der Glaube!
Neuzeit: Allein das Wissen!
Gegenwart: Weder noch.
Und jetzt?

Moderne: Man kann alles wissen!
Postmoderne: Man kann nichts wissen!
Wie denn nun?

‚Post-Postmoderne‘.
Das Älteste wieder angesagt:
Sowohl Vernunft als auch Religion!

Nicht: Glaube gegen Wissen,
und nicht: Wissen gegen Glauben,
aber: Glaube & Wissen!

Mehr aufgeklärte Religion!
Mehr religiöse Aufklärung!

Glaube, Vernunft, Wissen

Nicht der Glaube ist falsch,
sondern der Nur-Glaube, der Fideismus
und Fundamentalismus.

Nicht die Vernunft ist falsch,
aber die Nur-Vernunft, der Rationalismus.

Ohne Vernunft keine Religion,
ohne Religion keine Vernunft.

Wissen und Glauben korrespondieren
wie die Pole einer Ellipse.

Glaube ohne Vernunft - Aberglaube.
Vernunft ohne Glaube - Arroganz.

Es gilt zu versöhnen das überschätzte Wissen
mit dem unterschätzten Glauben!

Gebiert der Schlaf der Vernunft Ungeheuer,
dann der Schlaf des Glaubens nicht minder.

Glauben: Regulativ des Denkens.
Denken: Regulativ des Glaubens.

Glauben nährt Spekulation,
Spekulation klärt Glauben.

Vernunft - einfach göttlich!
Religion - einfach vernünftig!

Grenzen der Erkenntnis

Alles erkennbar!
Schnapsidee der Aufklärung,
bevor sie wieder nüchtern wurde.

Im Licht der Aufklärung
verlor Glaube seinen Aberglauben,
in den Höllen der Geschichte
Aufklärung ihre Hybris.

Die ganze Wahrheit passt so wenig ins Hirn
wie die Erdatmosphäre in einen Luftballon.

Sind Basisaussagen nicht verifizierbar,
dann lässt sich auch kein System damit bauen,
weder in Philosophie noch Theologie, es sei denn
man riskiert den alsbaldigen Einsturz.

Nach Plato sehen wir nur Schatten,
nach Kant nur gemäss unseren Kategorien,
nach anderen abhängig von der Evolution,
nach Adam Riese sind wir also
ganz schön beschränkt.

Diesseits von Eden.
Disteln und Dornen auch im Kopf.

Evolution der Erkenntnis.
Menschheit in der Schule Gottes.
Vielleicht erst in der ersten Klasse.

Was wissen wir von der Materie?
Das Atom zerfällt in Kern und Elektron,
Proton und Neutron, Gluon und Quark,
ad infinitum dei?

'Materie fest!'
'Materie nur tanzende Energie!'
'Materie nur mathematisch erfassbar!'
'Materie nur Ausdruck eines Gedankens!'
Eines göttlichen Gedankens?

Könnte ich die ganze materielle Welt
so erkennen, wie sie wirklich ist,
wüsste ich immer noch nichts
von der immateriellen.

Je weiter der Rationalismus geht,
desto ferner sein Ziel.

Was über unseren Verstand geht,
ist gerade das, was uns am meisten angeht,
weil es hinübergeht zu Gott.

Theologie und ‚Wissen‘

Theologie: erfahrenste Kupplerin
zwischen Vernunft und Glauben.

Je rätselhafter die Wirklichkeit,
desto aufdringlicher die Wirklichkeit
hinter der Wirklichkeit.

Was wir sehen, ist nicht, wie wir es sehen,
aber dasjenige, das wir nicht sehen,
will uns so, wie wir es sehen.

Gott lässt uns im Dunkeln tappen,
aber nicht im Stich.

Auf jeder Evolutionsstufe
findet man so viel Wissen wie nützlich
und so viel Vertrauen wie nötig!

Selig, die viel wissen, und doch glauben.

Unbedingt für Rationalität!
Die ihre Grenzen kennt.

Religion und Wissenschaft

Der Rationalismus sucht die Struktur,
die Religion den Sinn.

Die Wissenschaft denkt neutral,
die Religion engagiert.

Wissenschaft fragt: richtig oder falsch?
Religion fragt: erfüllend oder entfremdend?

Wissenschaft fragt, wie es sich verhält,
Religion fragt, was es für uns bedeutet.

Wissenschaft befriedigt den Kopf,
Religion nachhaltig auch die Seele.

Richtig oder falsch in der Wissenschaft,
wahr oder unwahr in der Theologie.

Die Wissenschaft arbeitet partiell und richtig,
der Glaube universell und wahr.

Naturwissenschaft handelt von der Natur,
Theologie von der Schöpfung.

Wissenschaft kommt voran
durch Widerlegung des für richtig Gehaltenen,
Religiosität durch Bejahung des Unwiderlegbaren.

Wissenschaftler interessiert das Uhrwerk,
Religiöse interessiert die Uhrzeit.
Und der Uhrmacher.

Regenbogen.
Für Rationalisten physikalisches Phänomen,
für Religiöse auch spirituelles.

In der Natur hat alles seinen Platz, basta.
In der Schöpfung alles seinen Sinn, amen.

Wissenschaft hat eine endliche Reichweite,
Religion eine unendliche.

Wissenschaft und Religion
sind auf verschiedenen Ebenen,
können sich also weder widerlegen
noch bestätigen.

Religion umarmt die Realität,
Wissenschaft schneidet hinein.

Wissenschaft
kann den Aberglauben widerlegen,
nicht aber den Glauben.

Glaube , Lebenswissen

Buddha, Laotse, Jesus -
als Naturwissenschaftler Banausen,
als Lebenskünstler Genies.

Auch Religion gibt nicht totales Wissen,
dafür aber optimales.

Wissen lehrt alles Mögliche;
Glaube das Eine, das nottut.

Ist letzte Wahrheit nicht zu haben,
so doch Weisheit - Wahrheit für uns.

Wissen braucht Hirn, Glaube auch Herz.

Glaube ist nicht neutrales Wissen,
sondern Menschen ändernde Gewissheit.

Wissen erklärt, Glaube ernährt.

Wichtig, wie es ist,
wichtiger, wie damit umgehen.

Religiöser Glaube hat gute Argumente,
ist aber keineswegs darauf angewiesen,
es wäre unfair gegen die Dummen.

Kindliches Vertrauen
und intellektuelle Reflektion -
die beiden Seiten guter Theologie.

Bereichernde Erklärungen,
selbst wenn sie unbeweisbar sind -
sind besser als alle anderen.

Jeder denkt irgendwann nach über Gott,
so ist jeder auf seine Art Theologe.

Begriff und Metapher

Religion kommt nicht aus ohne Bilder,
Wissenschaft nicht ohne abstrakte Begriffe;
Begriffe kommen und gehen,
Bilder bleiben.

Erzählung oft objektiver als Definition.
Ein gemaltes Weltbild oft wahrer
als ein fotografiertes.

Mikrophysiker benötigen,
um sich verständlich zu machen,
heute Bilder, Vergleiche, Symbole
und stehen unverhofft im Revier
von Spiritualität und Religion.

Der archimedische Punkt

Wer alle Probleme lösen will
im Umkreis eben dieser Probleme,
gleicht der Ratte im Rattenrad.

Wer nicht über den Tellerrand blickt,
sieht nur die eigene Suppe.

Religion - Ausgang des Menschen
aus seiner selbstverschuldeten Abkapselung.

Immanenter Verblendungszusammenhang!
Wie aufbrechen ohne Hebel in der Transzendenz?

Wie heraus aus dem Sumpf der Probleme,
wenn man nur zieht am eigenen Schopf?

Nur Religiöse
haben den archimedischen Punkt
ausserhalb der Relativierungen.

Während der Immanente versucht,
den Karren allein aus dem Dreck zu ziehen,
holt der Transzendente Gott zu Hilfe,
damit er seinen Gaul vorspannt.

Religion als Aufklärung

Dialektik der Aufklärung.
Kennt niemand besser als der Religiöse -
er wusste es immer schon.

Dass wir die Vernunft missbrauchen,
nicht erst bekannt seit Frankfurter Schule,
das wussten schon die Autoren der Bibel.

Gesellschaftskritik
begann nicht mit Horkheimer und Adorno,
eher schon mit Jesaja und Jeremia.

Kritische Theorie als selbstreferente Spekulation
frisst sich selbst auf, kritischer Glaube
nährt sich aus Transzendenz.

Die kompromissloseste Ideologiekritik
bleibt die Bergpredigt.

Auch Adorno und Horkheimer
schätzten ihren Nachbarn Goethe,
der das Unerforschliche ruhig verehrte.

Weil sie quasi vom Jenseits blickt,
hat Religion die unabhängigste Perspektive
und die objektivste Analyse.

Unglückliches Bewusstsein,
dialektisch aufhebbar in Religiosität.
Oder gar nicht.

Emanzipation von blinder Immanenz:
nichts aufklärender.

Vollständig aufgeklärt
werden wir sein bei Gott, nicht früher.

Unwissen und Vertrauen

Müsste erst alles bewiesen sein,
bevor man danach zu leben anfängt,
käme man gar nicht zum Leben.

Wir verlassen uns auf so viel Unbewiesenes,
warum nicht auch mal auf Religiöses?

Warum sollte angeblich irrationaler Glaube
den absurden Weltdeutungen des Alltags
unterlegen sein?

Warum soll das Glauben fragwürdiger sein
als unser fragwürdiges Wissen?

Sind letzte Aussagen prinzipiell unsicher,­
dann religiöse nicht sicherer als alle anderen;
wenn aber hilfrei­cher, dann besser.

Glaube: vertrauensvoll leben mit offenen Fragen
und auf Antworten warten können.

Religion braucht keine letzte Klarheit
und kann doch hellsichtiger machen als alles.

Was der Religion an Durchblick fehlt,
ersetzt sie tollkühn durch ein Vertrauen,
das sich zumindest emotional auszahlt.

Die legitime Unverschämtheit der Religion:
leben auf du und du mit dem Absoluten.
Ist auch das Bild von Gott vage,
kann doch das Vertrauen robust sein.

Wir müssen nicht alles wissen,
wir würden es sowieso nicht verstehen.

Eines Tages werden alle Antworten
an den Himmel geschrieben sein.

Ratio und Intuition

Wie eine intellektuelle Redlichkeit,
gibt es auch eine emotionale Redlichkeit,
und beide gehören zusammen.

Aufklärer nun auch aufgeklärt
über die Grenzen rationalen Erkennens
und die so oft vergessene Erkenntniskraft
von Gefühl, Ahnung und Intuition.

Intuition - Königsweg religiöser Erkenntnis,
wenn vorurteilslos und wohlwollend.

Wer nur der Ratio oder nur der Intuition traut
ist wie ein Einarmiger, der versucht,
in die Hände zu klatschen.

Erkenntnis - eine Kutsche,
vor die Ratio und Religio gespannt sind,
und Intuition die Zügel führt.

Denken, Fühlen, Glauben, Handeln:
gemeinsam stark!

Geist und Geistlich

Das Geistige ist rational,
das Geistliche rational und Emotional.

Gehen Glaube und Vernunft zusammen,
wird aus geistiger Erkenntnis geistliche.

Das Geistliche
unterscheidet sich vom Geistigen
durch L wie Liebe.

Schlüssel zur Wahrheit: Wohlwollen.
Universalschlüssel: Liebe.